Start: Morgade 10.06.2018
geplantes Ziel: Ventas de Naron
tatsächliches Ziel: Ventas de Naron
Distanz: 23 km
Höhenunterschied: 350 m
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Die Nacht im Dreibettzimmer mit einem Schweizer und einem Holländer verlief weitestgehend ruhig. Der Schweizer ist
nachts auf dem Weg zur Toilette über seine Stöcke gestolpert. Der Holländer flucht rum, weil er aufgewacht ist. Die beiden
scheinen sich recht gut zu kennen, die gehen auch den Camino gemeinsam. 05.30 Uhr Morgentoilette, als ich zurückkam,
hatten meine Zimmergenossen schon das Licht eingeschaltet, damit ich beim Packen keine Probleme habe. Beim
Hinausgehen habe ich dann das Licht wieder ausgeschaltet und den beiden eine gute Nacht gewünscht.
Kurz vor 6 dann in Regenklamotten raus, leichter Regen, da es noch dunkel ist, bin ich die ersten Kilometer mit
Stirnlampe gelaufen. Ich konnte die Einsamkeit und die Stille des Weges trotz des Regens in vollen Zügen genießen.
Die erste offene Bar sagte mir nicht zu, also weitergelaufen. Wird sicherlich in Portomarin was Passendes dabei sein.

Am Ortsausgang von Portomarin verschlug es mir die Sprache. Mehrere Taxen und Busse standen dort und erbrachen
lärmende, bunt gekleidete Menschen. Hier wird offenbar der 100 km - Sprint auf die Compostela eröffnet. Ab jetzt
laufe ich Slalom zwischen Wanderern, die ebenfalls Zick-Zack laufen, damit die weißen Sohlen ihrer Nikes nicht
schmutzig werden und der schöne, neue, pinke Adidas Jogginganzug kein Spritzwasser von irgendeiner Pfütze
abbekommt. Aus allen Richtungen tönt es: "Buen Camino!", was ich zunächst noch mit einem "Gracias" quittierte.
Nach kurzer Zeit erinnerte "Buen Camino!" an Spam und da ich auch auf Spam-Mails nicht antworte... Also antworte
ich ab sofort nur noch auf das "Buen Camino!" der Pilger. Du erkennst sie am Rucksack und daran, dass sie Dir
beim Gruß in die Augen schauen.

Diese "Sprinter" müssen nun an den folgenden drei Tagen an jedem Tag mindestens zwei Stempel in ihren Pilgerpass
drücken lassen. Das ist nicht schwer, da ab Portomarin jeder Kiosk, jede Bar, jeder Supermarkt und jede Pommes-Bude
über solch einen Stempel verfügt. Beobachtet haben wir, dass sich einige Pilger bis wenige hundert Meter vor der Herberge
vom Taxi chauffieren lassen, dann aussteigen, den Rucksack anlegen und die letzten Meter laufen. So macht es den
Anschein, als hätten sie die komplette Strecke gelaufen (wenn man nicht dabei beobachtet wird) Alex meinte: "Fehlt
nur noch, dass die sich jetzt eine Hand voll Wasser ins Gesicht schmeißen, damit es so aussieht, als wären sie verschwitzt."

One for the Money, two for the Show. Hauptsache nach drei Tagen hängt die Compostela zu Hause an der Wand.

Inzwischen ist auch Alex eingelaufen, er kocht: "Wenn ich noch ein Buen Camino höre, hole ich mein Pfefferspray raus."
Auch andere Pilger, insbesondere die, die vom Camino Primitivo oder von der Nordroute hinzugekommen sind, sind
ob der heutigen Ereignisse fassungslos. Einige spielen mit dem Gedanken, den Camino hier abzubrechen. Einer vom
Primitivo erzählte uns, dass er Tage hatte, an denen er gerade mal zwei Menschen gesehen hat. Ein Traum!

Zu uns gesellte sich auch Natalie, deutsche Polizistin und Kickboxerin. Sie hat das ja auch alles mitbekommen und fühlt
sich zu gut Deutsch beschissen. Sie hat sich vor drei Tagen die Hüfte verknackst und kann daher ihren Rucksack
nicht mehr tragen und ist auf den Taxiservice angewiesen. Wir haben sie wieder aufgebaut und ihr versucht klar-
zumachen, dass für genau solche Situationen der Taxi-Service gedacht ist. Ebenso für ältere Menschen, oder solche,
die ein anderes Gebrechen haben und trotzdem nicht auf den Camino verzichten möchten. So richtig klar wurde ihr
wohl erst, was wir meinen, als sich eine Dame aus dem bayrischen Wald in unserem Zimmer wie folgt äußerte:

"Ich bin doch nicht so bescheuert und schlepp das schwere Zeugs mit mir rum. Das ist schließlich mein Camino
und den will ich genießen. Wozu gibt es denn die vielen Taxen?"

Genau dazu eben nicht! Buen Camino und gute Nacht!

Am liebsten hätte ich gar nicht fotografiert...ein schwarzer Tag...

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